Stormarner Tageblatt 23.09.2021
Die Ruhestätte ist auch Heimat von von hunderten Pflanzen- und Tierarten / Ein Rundgang durch ein erstaunliches Biotop
Susanne Rohde
Ein Eichhörnchen flitzt über den Sandweg und ein Specht ruft von hoch oben aus einer alten Fichte. Auf dem Oldesloer Friedhof zwischen Lindenkamp und Hamburger Straße geht es bei genauerer Betrachtung ziemlich lebendig zu. Hier sind rund 200 Pflanzen- und viele Tierarten zu hause. Die Artenvielfalt des 15 Hektar großen Friedhofs ist beeindruckend. Das weiß auch die Nordkirche, zu deren Einzugsbereich der Friedhof gehört, und der deshalb inzwischen auch zu einem geschützten Lebensraum für Flora und Fauna geworden ist.
Zur Nordkirche gehört schon seit vielen Jahren ein Umwelt- und Klimaschutzbüro, dessen Team „Netzwerk Biodiversität“ sich für die Bewahrung der Schöpfung durch biologische Vielfalt auch auf den Friedhöfen einsetzt. Der Oldesloer Friedhof gilt dabei als Paradebeispiel für naturnahe Gestaltung und Artenvielfalt. Mit einer bunten Mischung aus Garten-, Park- und Waldelementen, mit seinen besonderen Bodenmodellierungen und kleinen Wasserflächen sowie den vielfältigen Grabanlagen gehört der 140 Jahre alte Friedhof zu den abwechslungsreichsten und interessantesten in Norddeutschland.
Rund 1000 Bäume wachsen hier, darunter auch viele sehr alte oder Exoten wie der Mammutbaum, Lebkuchenbaum, Zuckerahorn, Zimt- und Felsenbirne. Besonders eindrucksvoll sind auch die vielen großen Rhododendren, die zum Teil zwischen 60 und 100 Jahre alt sind. „Sie leiden allerdings unter dem Klimawandel und den Wetterextremen. Das spielt leider auch den Schädlingen in die Karten“, erzählt Friedhofsleiter Jörg Lelke, der hier unter anderem den Dickmaulrüssler entdeckt hat. Und dieser Käfer sei „ein ziemliches Arschloch“, denn seine Larven legten auch die größten Rhododendren um. Dabei betont der Gartenbau-Ingenieur betont, dass auf dem Friedhof keine Pestizide zum Einsatz kommen dürfen. Nur falls der Eichenprozessionsspinner hier Einzug halten sollte, dann müsse man zum Schutz der Besucher einen Kammerjäger holen. Unter der jahrelangen Trockenheit haben nicht nur die Thujen (Lebensbäume), sondern auch die Fichten gelitten, die gleich reihenweise wegsterben. Das wird durch gelegentliche Blattlausinvasionen noch verstärkt. Auch die Moorbirke ist so ein Patient, denn sie ist recht ausgekahlt. „Sie wird leider in den nächsten zehn Jahren absterben“, ist Lelke überzeugt. Aber auch abgestorbene Bäume haben hier als wertvolles Totholz ihren Platz.
Während einige Linden, Eichen und Buchen mehr als 100 Jahre alt sind, gibt es auch immer mehr Neupflanzungen. So wurden auf dem Areal für Baumbestattungen innerhalb der letzten zehn Jahre rund 400 junge Bäume angepflanzt, darunter auch Apfelbäume, deren Früchte geerntet werden dürfen. Und natürlich dürfen hier auch viele Wildkräuter wachsen, Brennnesseln und Disteln haben ihr ungestörtes Eckchen. „Wir tanzen auf einem Grad zwischen gepflegt und ordentlich auf der einen Seite und naturnah und ökologisch auf der anderen Seite“, so Jörg Lelke. Die gepflegten Rasenflächen werden auch von Kaninchen und Mäusen besucht. Darüber freuen sich wiederum Füchse und Eulen, die hier ebenfalls wohnen. Hoch oben in den Bäumen wurden Eulenkästen aufgehängt, die Kinderstube für den Nachwuchs der Waldkäuze.
Seit einem halben Jahr stehen auf dem Friedhof drei große Insektenhotels, die Schmetterlingen, Schwebfliegen, Libellen, Erdhummeln und Wildbienen Unterschlupf und Überwinterungsmöglichkeiten bieten. „Die werden sehr gut angenommen“, freut sich Jörg Lelke. Außerdem wurden sechs große Vogelfutterhäuser zusammen mit Grundschülern der Schule West gebaut und auf dem Friedhofsgelände aufgestellt. Auch Eichhörnchen dürfen sich hier über eigene Futterstellen freuen. „Die Futterhäuschen werden von den Besuchern mit Äpfeln, Nüssen, Meisenknödeln oder besonderem Futter bestückt“, sagt Jörg Lelke.
Außerdem warten zwei große, überdachte Würfel aus gepresstem Lehm und Stroh auf tierische Gäste. Gebaut hat ihn Gabriele Höppner zusammen mit Kindern der Kita Stoppelhopser, die dabei viel Spaß hatten. Die ehemalige Telekom-Angestellte leistet hier 1000 Stunden Ehrenamtsarbeit. Die 56-Jährige ist zudem leidenschaftliche Fotografin. Die von ihr bearbeiteten Naturfotos sind jetzt als kleine Ausstellung im Vorraum der Friedhofskapelle zu sehen.